Gastgedanken
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Meine Insel

Jetzt im Frühling kann ich es am Tag gute zwanzig Minuten oder sogar eine Dreiviertelstunde genießen, nur so dazusitzen. Die Füße auf dem Geländer abgelegt, auch wenn es an den Knöcheln immer ein bisschen weh tut. Ich leg‘ meinen Kopf in den Nacken und halte mein Gesicht in die Sonne. Das lieb ich. Nur dieses Gefühl, wenn ich gar nicht viel nachdenken muss. Ok wow,  kitschiger geht’s auch nicht mehr.

Ich lieb‘ meinen kleinen Balkon. Mit der Magarite auf dem Tisch und dem Lavendeltopf an der Wand. Beide hab ich im Baumarkt gekauft und mit der Straßenbahn nach Hause zu transportiert. Diese Aktion endete mit den beiden Pflanzen auf dem Balkon und mir schwitzig und genervt von den ganzen Menschen und der Straßenbahn und der ganzen Stadt in meinem Zimmer.
Alles in allem also erfolgreicher als andere Tage.

Am liebsten sitz‘ ich hier draußen, wenn ich die Wohnung für mich hab. Am liebsten bin ich eigentlich allein. Jemand sagt immer, ich verkriech‘ mich in meiner wohligen Höhle oder in meinem Nest. Vielleicht stimmt das auch, aber das kann ich natürlich nicht zugeben.

Manchmal fühl ich mich ja echt so: Als hätt‘ ich mich in mein Nest eingekuschelt und würde nun warten, bis die Welt da draußen vorbei ist. Und dann würd ich wohl endlich mal rauskriechen aus meiner Kuhle. Denn dann kann ich draußen ja genauso gut alleine sein. Also wenn die Welt dann vorbei ist.

Gerade ist sie ja noch ziemlich voll. Manchmal zu voll für mich. Also meistens viel zu voll. Irgendwie ertrag‘ die Massen an Menschen nur schwer und zugleich sind es mir nie genug andere Menschen um mich herum. Ich bräuchte so viele, dass ich mich ganz und gar in der Masse treiben und schlenkern lassen kann. Quasi aus meinem eigenen kleinen Körper herausfahre und nur noch ein Teil des Kollektiven, der undefinierbaren Masse bin.

Dann würde ich einfach mal nichts fühlen. Den ganzen Emotionsapparat mal abstellen. Also nicht nur auf Stand-by, wie beim Schlafen oder so, sondern richtig Stecker raus und alles.

Meine Emotionen überfordern mich so oft. Wie kommen denn normale Leute damit klar? Hören die nicht so genau hin oder was? Aber wie hört man denn bitte weg, kann mir das mal jemand erklären? Eigentlich bild‘ ich mir ja ein, es ist gut, alle Gefühle wahrzunehmen und anzunehmen und auch auszufühlen, selbst wenn oder – vor allem– wenn es ,,negative‘‘ sind.

Aber dann schubsen die mich rum. Überhaupt fühl ich mich oft rumgeschubst. Also von meinen Gefühlen, von der Welt (wow wie pathetisch) und anderen Leuten. Nicht mal böswillig geschubst, sondern eher so, als würde ich die ganze Zeit im Weg stehen. Oder wie ein Blatt, das vom Wind hin- und hergeweht wird. Werden die anderen Blätter ja auch, das hat Wind ja so an sich. Aber die anderen Blätter sinken dann ja früher oder später trotzdem mal zu Boden. 

An sowas muss ich eben nicht denken, wenn ich auf meinem Balkon sitze. Auf meiner kleinen Insel. (Von der aus ich auf alle Leute, die auch einen Balkon haben, der nach hinten zum Hof rausgeht, volle Kanne draufspannen kann. Und sie auf mich. Aber ist ja auch egal, weil die sind bestimmt alle auch mehr oder weniger abgefuckt, so wie die aussehen. Neulich hab ich einem pubertierenden Jungen beim Pinkeln zugeschaut … War das unangebracht? Höchstwahrscheinlich ja. Schäme ich mich? Absolut nicht. Sollte ich das jemals erzählen oder aufschreiben? Eigentlich auch eher nicht …

Aber eigentlich hab ich noch eine Insel. Die ist aber an keinem bestimmten Ort und kann nicht gefunden werden. Sie ist aber auch nicht in meinem Herzen oder so ein Quatsch. Eher schwebt sie zwischen den Sphären und ist unsichtbar und man kriegt sie nicht immer zu fassen, wenn man will. Aber manchmal manifestiert sie sich und dann ist es so schön auf ihr, dass ich gar nicht mehr weg möchte und wünschte, ich könnte mitkommen, wenn alles wieder zwischen den Welten verschwindet.

Und ich bin auch nicht alleine auf der Insel, die teil‘ ich mir mit einer anderen Person. Und die mag ich auch ganz sehr.
Gerade deswegen ist es ziemlich paradox, dass diese Person mir das Leben oder, besser gesagt schlicht und einfach das Klarkommen, manchmal so sehr schwer macht.

Man kann die nämlich auch nicht festhalten, so ähnlich wie die Insel. Aber eigentlich muss man das auch nicht, weil sie nämlich ab und zu gerne mit mir ist. Bei der Person ist es ein wenig so, als würde ich mich einfach rückwärts ins Wasser fallen lassen, wie eine Taucherin, die weiß, gleich taucht sie in einem unfassbar schönen Korallenriff herum, und zwar eines, das so schön ist und so weitläufig, dass sie gar nicht ganz durchschwimmen und ihren Taucherfreunden gar nicht von der ganzen Schönheit erzählen kann. Weil die das Riff gar nicht so gut kennen wie die Taucherin und weil sie gar nicht um die ganzen seltenen Pflanzen und die unbekannten bunten Fische wissen. Und sie können sich auch nicht vorstellen, wie schön das Wasser da gluckert und wie schön man den Sonnenuntergang unter der Wasseroberfläche beobachten kann. Aber die Taucherin weiß das. Und sie liebt das. Aber manchmal muss sie auch auftauchen, um Luft zu holen. Und sie wünschte, sie müsste nicht. Sie wünschte manchmal, sie wäre eine Meerjungfrau, aber weiß auch, dass das natürlich albern ist. Deswegen stellt sie sich vor, selbst eine Koralle zu sein oder eine Anemone, die als Polyp in den Wellen herumgeschaukelt wird und dann am innersten Platz vom Riff andockt. Und dann wird sie eine richtige Anemone und bleibt für immer da sitzen, in ihrem Riff. (Oder zumindest solange, bis alle Korallenriffe der Erderwärmung und Meeresverschmutzung zum Opfer gefallen sind, just saying.)

Ist sie aber nicht. Nur eine Taucherin, die das Korallenriff besuchen darf, aber nicht besitzen.

Überhaupt kann man eigentlich wenig bis gar nichts besitzen, wenn ich so darüber nachdenke. Gegenstände und Grundstücke und eigentlich alles, was ich gemeinhin als ,,Besitz‘‘ verstehe, kann einem weggenommen werden. Entweder wird man enteignet (vom Staat und in einer großen Not, das steht sogar im Grundgesetz), oder irgendeine andere beliebige Person kommt an und klaut dir rotzfrech deine Sachen. So könnte es passieren, und zwar jederzeit.

Menschen kann man sowieso nicht besitzen, man kann nur sagen: ,,Ich find dich so gut, ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, ohne dich zu sein. Und ich fänd’s auch doof und wäre traurig, wenn du noch mit anderen Menschen das gleiche hast oder machst, wie mit mir.‘‘ Oder man sagt einfach: ,,Klar kannst du alles mit allen anderen machen, wie und wann du willst, aber das, was wir haben, ist besonders und ich mag dich ganz ganz sehr.‘‘ Und wenn der*die andere oder die Anderen das dann auch so sehen, dann fühlen sich wohl alle glücklich.

Aber man kann ja nicht sagen: ,,Ich find dich richtig gut und deswegen will ich dich jetzt nur für mich und du musst für immer bei mir bleiben und ich bei dir und alles wird jetzt blöd, aber immerhin sind wir zusammen.‘‘
Das ist doch bescheuert. Wer macht denn sowas? Eigentlich ganz schön viele, fast alle, die ich kenne, machen das.
Und oft funktioniert das gar nicht so gut. Warum wohl?

Ich weiß, dass das nicht funktioniert und dass das nicht gut ist. Aber trotzdem merk ich manchmal in mir drin, wie ich ganz im Geheimen hin und wieder doch genau das will. Am liebsten auf meiner Insel. Mit dem anderen Menschen von meiner Insel.

Aber das ist ok, Gefühle kann man zulassen, denke ich. Und sich dann damit auseinandersetzen. Und sie dann loslassen, diese Gedanken. Und wenn ich das dann tue, dann lass‘ ich meinen Inselbewohner los, ich lass ihn jedes Mal wieder gehen und das kostet Kraft. Aber es ist auch wunderschön, wenn ich dann merke, dass er zurückkommt, und zwar nicht, weil ich ihn einfangen will, sondern weil er kommen will. Und das ist gut. Und schön. Aber oft auch ungewiss. Aber eigentlich ist ja alles ungewiss, deswegen muss diese Ungewissheit irgendwie natürlich sein und wird sich sicher irgendwann, wenn ich nur weiterhin mutig genug bin, loszulassen, organisch in mein Leben einflechten, ohne dass sie mir Angst macht. Und die Angst hab ich manchmal. Manchmal öfter und doller und manchmal seltener und sanfter. Angst, allein zu sein, wenn ich es nicht möchte oder kann, und das für immer. Angst, meine Insel zu verlieren oder mich selber, was auch immer genau das beinhaltet. Angst, nie meinen Platz zu finden und dann irgendwann zu gehen, ohne dass es jemand bemerkt, Angst vor richtig vielen Dingen.

Aber trotzdem mach ich weiter, und das ist eigentlich mutig, weiterzumachen, wenn man denkt, es wäre eigentlich sinnlos und man sei allein. Ich fühle mich nie mutig, aber hier und jetzt kann das ruhig mal geschrieben werden.

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Gastgedanken von Hanna, 19, aus Leipzig.

Beitragsbild von Imina.

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