05.01.2019
Ich sitze im Auto, bin auf dem Weg zu meiner Oma. Besuche zuhause fallen mir schwer, weil ich mich mit diesem leeren Platz am Abendbrot-Tisch oder auf der Couch beim Tatort gucken konfrontiert sehe. Weil an jeder Ecke Erinnerungen warten, mit denen ich nicht immer umgehen kann.

Das Radio läuft und auf einmal kommt „I’m Goin’ Down“ von Bruce Springsteen. Sofort ist da der Kloß im Hals, den ich so oft zu vermeiden versuche. Sofort füllen sich meine Augen mit Tränen und ich muss rechts ranfahren. Ich erinnere mich schlagartig an die Sonntagnachmittage im Sommer, an denen mein Vater mich gefragt hat: „Hast du Lust, ein bisschen wegzufahren? Ich kenne einen Ort, den ich dir zeigen will.“ Dann hatte er meistens schon seine Kamera unter dem Arm, ich habe mir mein Notizbuch und ein paar Stifte geschnappt, und wir sind losgefahren. Mit offenen Fenstern und einer Zusammenstellung seiner Lieblingssongs auf einer SD-Karte sind wir über die Landstraßen gefahren. Ich habe laut mitgesungen und er hat den Beat auf das Lenkrad getrommelt. Wenn ich gesagt habe: „Hier ist es schön, halt doch mal hier!“, hat er das gemacht, hat mir Dinge gezeigt und mich machen lassen.
An diesem Tag im Januar kommt mir diese Erinnerung so schmerzhaft vor, einfach weil sie so unsagbar schön war. Diese Momente bekomme ich nie mehr zurück, niemand wird das ersetzen können, nichts wird so schön sein wie die Zeit, die wir da zu zweit im Auto verbracht haben. Ich sitze allein auf dem Fahrersitz, friere und dieses Lied erinnert mich an das, was ich so sehr zurückwill. Der Schmerz drückt mir richtig auf der Brust und ich weine, bis keine Träne mehr kommt.
24.01.2019

Ich stehe inmitten von Menschen, die Heels tragen, glitzern und aufwendig zurechtgemacht sind. Die Halle ist kleiner, als ich anfangs dachte.
In einem Moment in dieser Halle halte ich inne. Ich möchte gerade nirgendwo lieber sein. Ich bin umgeben von Leuten, die ich liebe, ich fühle mich gut in meiner Haut, schreie und singe all’ die Songs, die mich seit Jahren begleiten und alles für mich bedeuten. Ich befinde mich am anderen Ende der Welt, in einer Halle am Las Vegas Boulevard, ich bin wirklich hier, ich erlebe das gerade wirklich.
In diesem Moment in der Halle hatte ich kurz den Gedanken: Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal so bedingungslos glücklich sein kann. So langsam wird mir bewusst: Natürlich kann ich.
Ich habe oft Momente absoluter, schmerzhafter, tiefer Trauer, weil mich eine Erinnerung oder ein Erlebnis einholt oder weil ich die Stimme meines Vaters auf einmal im Ohr habe. Weil ich etwas mache, was ich sonst nur mit ihm zusammen gemacht hätte. Diese Momente tun so weh, dass ich manchmal das Gefühl habe, nie mehr aus dem Loch herauszukommen.
Was den Gedanken aber für mich in letzter Zeit mildert: Das Wissen, dass es trotzdem Momente bedingungsloser Fröhlichkeit und Glücksgefühle gibt. Die Sicherheit, dass ich lachen kann, Menschen um mich habe, die mich zum Lachen bringen, Erlebnisse, die mir den Atem rauben, das Gefühl, so klein auf der Welt mit meinen Problemen zu sein, die Gewissheit, dass es Liebe gibt und Verliebtsein und verschmitzt lächeln, weil man jemanden gut findet. Das hört niemals auf, auch wenn es manchmal so scheint. Das versprech’ ich.

We are always in the space in-between… all the spaces where you are not actually at home. You haven’t arrived yet…. This is where our mind is the most open. We are alert, we are sensitive, and destiny can happen. We do not have any barriers and we are vulnerable”
Marina Abramovic
Das Leben besteht für mich oft aus diesen zwei Extremen. Zweischneidig. Zweiseitig. Zwei komplett entgegengesetzte Pole.
Und das ist das Leben.
Wir bekommen nicht nur eins von beiden. Wir bekommen weder das ganze Leben Honig um den Mund geschmiert, noch die ganze Zeit Regen und Hagel ab, sondern von beidem. Manchmal ändert sich die Intensität der jeweiligen Pole, aber das Leben ist ein schwanken zwischen beiden und die Kunst ist es, dazwischen balancieren zu lernen. Tiefphasen zu akzeptieren. Höchste Glücksgefühle in die Tasche zu stecken und immer gut aufzuheben. Tiefphasen nutzen, um die schönen Momente noch wertvoller zu machen. Hochphasen zum Trost als Erinnerungen in schlechten Zeiten zu haben.
Ja, vielleicht ist manchmal ein Tief ziemlich extrem und wir haben das Gefühl, nie mehr richtig aufstehen zu können. Aber vielleicht geht’s auch erst mal um ein Humpeln, um ein Laufen lernen, anstatt gleich wieder Vollgas zu geben. Und ja, manchmal wünschen wir uns, immer in dieser ersten Phase des Verliebtseins zu sein, in der alles so intensiv und schön ist wie sonst nichts auf der Welt. Aber auch das geht nicht. Ohne Tief kennen wir unser Hoch nicht und umgekehrt. So ist das Leben nunmal. Alles, was wir tun können, ist weiterzubalancieren, zu jonglieren, vielleicht mal auszurutschen, aber immer wieder auf das Seil aufzusteigen und es nochmal zu probieren.

Inspiration für meine Worte war dieser Podcast.
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Worte von Imina.
Bilder von Imina & ihrem Papa aus Las Vegas.