Selbstverletzung –
Davon haben sicher schon viele gehört, doch kaum jemand traut sich, darüber zu sprechen oder gar danach zu fragen. Oft ist es Unsicherheit oder Hilflosigkeit, die jemand empfindet, wenn die Person meine Narben bemerkt. Und dann ist es fast immer die gleiche Reaktion:
Es wird darüber geschwiegen.
Doch genau das hilft nicht – niemandem, weder den Betroffenen, noch ihren Familien.
Und genau deshalb möchte ich Dir heute ein wenig darüber erzählen, wie es mir in den letzten Jahren damit so ergangen ist.
Als erstes möchte ich dich darauf aufmerksam machen, dass jegliche Form der Selbstverletzung eine sehr ernstzunehmende Erkrankung ist. Dass es allzu oft ein verzweifelter Hilferuf ist, hinter dem sich großes seelisches Leiden verbirgt. Und über den die meisten Betroffenen schweigen.
Bei mir war es sehr viele Jahre so – bis es außer Kontrolle geriet. Und ich das Unübersehbare nicht länger verstecken konnte und wollte. Viele Jahre war die Selbstverletzung mein einziger, verzweifelter Lösungsversuch, mit mir und der Gesellschaft zurechtzukommen. Mit meinem Leid und einem alltäglichen Leben, welches zu funktionieren hatte.
Und es war – und ist – ein unheimlich harter Kampf, mich von diesem Verhalten wieder zu trennen. Dieser Druck, mir selbst weh tun zu wollen, verschwindet niemals komplett. Auch, wenn bereits viele Jahre anstrengender Therapie hinter mir liegen und ich mich nicht mehr aktiv selbst verletze, erinnern mich meine Narben fast jeden Tag daran.
In schlechten Momenten ist es oft schwer auszuhalten, meine eigenen Arme so zu sehen und daran erinnert zu werden, wie viel Hass ich einst gegen mich selbst gerichtet habe.
Doch es gibt auch Tage, an denen ich gut damit leben kann, an denen ich es manchmal sogar ganz vergessen – das sind die Tage, an denen ich mich stark fühle, an denen ich weiß, dass es eine handvoll Menschen gibt, die hinter mir stehen und stolz auf mich sind.
Doch nicht immer war es so leicht – gerade in der heutigen Gesellschaft gibt es zu viele ablehnende Meinungen oder sogar Vorwürfe zu diesem Thema. Und genau das macht mich immer wieder traurig oder sogar wütend. Denn niemand scheint sich, auch nur zu fragen, was dahinter stecken könnte. Es ist eben keine Modeerscheinung! Es ist die Auswirkung von erlebten Hass, von Gewalt, von Erniedrigung. Denn kein Mensch kommt auf die Welt und hasst sich selbst, das wird ihm vorgelebt. Und das macht den Kampf gegen die Selbstverletzung so ungerecht.
Ich habe einen großen Wunsch für die Zukunft: Wenn jemand meine Narben erblickt, soll die Person mich eben nicht in eine Schublade stecken oder mit Vorurteilen im Kopf herumspielen. Ich wünsche mir, dass dieser Jemand sich stattdessen die Frage stellt, was wohl mit einer jungen Frau passiert sein muss, dass sie sich so sehr hasst? Wie kann es nur möglich sein, dass sich selbst so sehr weh zu tun?
Denn eins habe ich gelernt – das Annehmen von Schwächen, von Leid und Schmerz, kann nur gemeinsam geschehen. Nur, wenn ich mich frei bewegen kann, ob mit oder ohne Narben, werde ich lernen, mich selbst zu mögen und den Teufelskreis zu durchbrechen.
Und den Mut, den es braucht, wünsche ich allen Betroffenen.
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Falls auch du von diesem Thema betroffen sein solltest, verlinken wir dir hier einige Hilfsseiten und Organisationen, an die du dich wenden kannst, wenn du nicht weiter weißt:
Leben ohne Dich/ Seelenkratzer/ Rote Linien/Skills bei Selbstverletzungen/ Hilfe für Außenstehende/ Hilfe für Jugendliche
Hier findet ihr außerdem noch einen weiteren Beitrag von uns zum Thema Psychische Krankheiten.
Die Autorin möchte anonym bleiben.
Die Photos sind von Luka.
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