Ich fange eigentlich meist Wochen vor meinem Geburtstag an, mich auf diesen Tag zu freuen. Mir auszumalen, was ich alles Schönes machen werde und wer alles an mich denken könnte. Welchen Kuchen ich backen oder was ich anziehen könnte. Denke mir jedes Jahr, was für ein monumentaler Schritt es ist, wieder ein Jahr älter zu sein.
Am 28. Mai bin ich um 9 Uhr aufgewacht: Aber habe ich mich anders, oder vielleicht sogar erwachsener, gefühlt? Nein. Denn außer einem Frühstück, bei dem ich schon morgens Schokokuchen essen und Kerzen auspusten konnte und im Wohnzimmer von Blumen und einem „Happy Birthday“–Schild begrüßt wurde, war ja auch nichts anders als gestern.
Wochenlang denke ich über diesen Tag nach, freue mich immer noch wie ein Kind darauf, will es mir so schön machen, wie nur möglich. Nehme mir also heute die Zeit, und tue all die Dinge, die mich glücklich machen: Ich mache Sport, frühstücke ausgiebig, esse Kuchen, gehe schwimmen, sitze in der Sonne und koche abends ein riesiges Festmahl mit all den Sachen, die ich gern esse.
Nachdem ich fertig mit dem Abwasch geworden bin und mein Podcast zu Ende geht, fällt mir plötzlich auf: Du machst doch eigentlich all die Dinge, die du auch an deinem Geburtstag machen möchtest, jeden Tag!
Durch diese Erkenntnis stelle ich meinen Geburtstag nicht mehr auf eine höhere Stufe als all die anderen Tage im Jahr. Denn wenn man zu viel in einen Tag hineininterpretiert und sich zu viel auf etwas freut, wird man leider oft enttäuscht – die Realität kann einfach nicht mit dem mithalten, was wir uns in unseren Träumen ausmalen.
Einer der ersten Punkte, an denen wir arbeiten müssen, wenn es um ein glückliches Leben geht, wäre, das Glück, was man an bestimmten Tagen erfährt, nicht als ausschlaggebend für das Glück anderer Tage zu betrachten. Nicht auf einen Tag, hin zu fiebern und vor lauter Vorfreude die Realität, den jetzigen Moment, völlig aus den Augen zu verlieren. Denn auch der hat seine Schönheit, Berechtigung und Kostbarkeit. Und wenn wir die Realität gänzlich aus den Augen verlieren, nur noch im morgen leben und all unsere Freude und Erwartung in morgen setzen, verlieren wir uns irgendwo dazwischen.
Ich kann mir jeden Abend Zeit nehmen, schön zu kochen und morgens früh genug aufstehen, um einen entspannten Morgen mit einem leckeren Frühstück zu haben. Ich mache täglich Sport, oder bewege mich in irgendeiner Form, weil ich mich danach immer besser fühle. Ich könnte auch, wenn ich wollte, jeden Tag Schokokuchen essen. Aber ein „Happy Birthday“–Schild oder Kerzen und Blumen auf dem Wohnzimmertisch sollten nicht ausschlaggebend dafür sein, diesen Tag als wichtiger als andere zu betrachten und mich nur an diesem Tag um mich selbst zu kümmern.
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Photos & Text von Imina. Danke an Ballonist in Kassel!