Wir haben diesen Monat viel über den minimalistischen Lebensstil und das Ordnen der eigenen Gedanken gesprochen. Doch wie gehen Künstler eigentlich mit dem Thema um?
„Form follows function“ ist ein Satz, den der Architekt Louis Sullivan schon 1869 in einem Aufsatz erstmals erwähnte. Dieser Gedanke wird bis heute viel in Architektur-, Typografie- oder Design-Kontexten verwendet, aber er ist eigentlich auch ein Grundgedanke minimalistischer Kunst und Gestaltung. In der Minimal Art geht es um das Weglassen aller Dekorationen oder Funktionen, die nicht zwingend notwendig sind. Und hier tut sich also auch wieder unser minimalistischer Gedanken auf: Sich auf das Wesentliche beschränken, nicht auf das, was uns ablenkt.

Carl Andre – 144 Magnesium Square (1969)
Minimal Art enstand in den 1960er-Jahren in den USA und bezieht sich auf bestimmte Bereiche des Konstruktivismus (Kunstrichtung der Plastik und Malerei der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, deren Vertreter einem mathematisch-technischen Gestaltungsprinzip anhingen.). Enstanden ist sie aber auch als Gegenbewegung der Fokussierung auf das Alltägliche der Pop-Art oder dem emotionalen Subjektivismus von Expressionismus.
Im Wesentlichen stellte sie auch eine Erneuerungsbewegung nach 1945 dar. Nicht umsonst wird der 8. Mai 1945 als „Stunde Null“ bezeichnet, ein viel diskutierter Begriff, der seine Vor- und Nachteile hat, sich aber in unserem Falle auf einen Neuanfang bezieht, ohne das, was vorher war, zu vergessen. Und wie kann man am besten von vorne anfangen? Indem man sich auf das besinnt, was am Anfang steht. Die Grundbausteine. Um anzufangen, neu aufzubauen.
»Im Minimalismus wohnt ein poetischer Charakter inne, der ein Gleichgewicht zwischen voll und leer schaffen möchte.«
– Jennie C. Jones
Die minimalistische Kunst charakterisiert sich daher durch den Fokus auf die Primärformen wie Kubus, Kugel, Quader oder Zylinder und das Gestaltungsprinzip der „Reihung“ dieser. So sind die einzelnen Elemente des Kunstwerks Bausteine, mit denen ein Haus, also die Skulptur bzw. das Kunstwerk, gebaut wird.
Nach diesem Verständnis sind also alle einzelnen Elemente – Bausteine – abhängig voneinander, machen zusammen das Werk aus, verleihen ihm aber auch eine spielerische Komponente. Ein bisschen wie Bauklötze. Die minimalistische Kunst folgt sachlich-rationalen und kalkulierenden Gesetzen, die ihr einen zeitlosen Charakter geben. Vermieden werden sollten vor allem symbolische oder metaphorische Elemente, denn das Kunstwerk sollte für sich selbst stehen und sich, wie schon erwähnt, auf das Wesentliche beschränken. Auch die Einbringung der subjektiven „Handschrift“ eines Künstlers sollte streng vermieden werden.
»Frag nicht, was für eine Arbeit es ist. Erkenne, was die Arbeit bewirkt.«
– Eva Hesse

Robert Morris – Untitled (1965, hier wieder aufgebaut 1971)

Untitled – Donald Judd (1989)
Eigentlich verstehen wir Kunst oft als Metapher, die für etwas steht oder einen Aspekt der Realität (eine Landschaft, eine Person…) verkörpert. Doch im Minimalismus ist es nicht möglich, große Interpretationen zu machen. Wir sind beispielsweise mit einer Reihe von roten Rechtecken, die übereinander an der Wand angebracht sind (siehe oben), konfrontiert. Da sind nur wir und diese geometrische Form. Also liegt die Interpretation, oder auch die Nicht-Interpretation, komplett in unseren Händen. Eine Rückkehr zu den Grundbausteinen geschieht in der Kunst – um darauf zukünftig wieder ‚aufzubauen‘.
»Was du siehst, ist was du siehst.«
– Frank Stella

Sol LeWitt – Two Open Modular Cubes/Half-Off (1972)

Frank Stella – Hyena Stomp (1962)
_
Text von Imina.
im Rahmen des minimalismus mai
Bild- und Textquellen: I II III IV