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Romeo und Julia auf dem Dorfe

Über Feminismus fernab vom Schuss und ländlichen Rollenbildalltag

Wo Sexismus eigentlich so normal ist, dass er fast schon ein Fremdwort ist, und wo Feministischsein untrennbar mit der Vorstellung aggressiver, unrasierter Mittvierziger-Emanzen in Verbindung gebracht wird – da bin ich aufgewachsen. Glücklicherweise wurde ich nie direkt mit solchen Werten erzogen, jedoch umgeben sie mich unauffällig schon mein ganzes Leben lang. Bis jetzt hab ich sie als normal hingenommen und geduldet, wie das auch schon meine Eltern und meine Großeltern getan haben. Doch jetzt ist die Zeit gekommen, in der keiner mehr derartige Werte dulden sollte. Auch ich hab mich dezidiert gegen ein Dulden entschieden, ich wollte mich aktiv dagegen engagieren. Mein Eintritt in die Feministische Partei wurde mit gemischten Reaktionen zur Kenntnis genommen. Ist die feministische Denkweise eine Denkweise, die man ernst nehmen muss bzw. kann? Das größte Problem des Feminismus, welches mir vor allem in meinem provenzalischen Umfeld deutlich wird, ist nämlich, dass er nicht als nötig und wichtig angesehen wird. Feminismus ist hier kein Thema, nicht mal ansatzweise. Feminismus, das waren mal wütende Männerhasserinnen in den 70ern – und viel mehr dann auch nicht. Wer sich hier als Feminist bezeichnet, ist Anhänger einer sinnfreien Ideologie mit der man nichts zu tun haben will. Warum auch? Hier braucht man keine Feministen, hier ist doch alles in Ordnung. Die Themen, die der moderne Feminismus behandelt, spielen hier keine Rolle, und Probleme stellen sie erst recht nicht dar. Gleichberechtigung begegnet man hier mit Gleichgültigkeit. Doch woher kommt diese Gleichgültigkeit? Warum fühlt man sich hier nicht ansatzweise solchen Problemen verpflichtet, wenn sie doch (wenn vielleicht auch nicht in den Köpfen der Leute) de facto existieren. Seit ich mich mit den Problemen des Feminismus beschäftige, stelle ich mir diese Fragen dauerhaft. Nicht zuletzt, weil ich auch aus meiner eigenen Familie diese Gleichgültigkeit erfahre. Um mich nicht weiter damit zu quälen, habe ich nach Antworten gesucht. Und wie könnte ich diese besser finden, als bei den „Betroffenen“ direkt. So habe ich mich, à la Maxie Wander, mit einer guten Bekannten aus meinem Ort verabredet, um endlich Antworten auf meine Fragen zu finden.

Es ist später Nachmittag und ich begegne dem Gespräch mit Zuversicht. Ich versuche so unvoreingenommen wie möglich zu sein. Vielleicht liefert sie mir auch so plausible Antworten, dass im Endeffekt bei mir eine Art Verständnis für diese Einstellung aufkommt. Ich versuche meine Position im Hintergrund zu lassen, auf ihre Ansichten einzugehen und Kommentare auf Dinge, mit denen ich möglicherweise nicht konform gehe, einfach erst mal zu schlucken. Ich nehme einfach hin was sie sagt, und versuche sie nicht von irgendeinem Gegenteil zu überzeugen. Ich schöpfe gleich aus dem Ganzen, und auf meine Frage, ob sie sich jemals in irgendeiner Art und Weise Männern gegenüber benachteiligt gefühlt hat, schweigt sie eine Weile. „Ich glaube nicht.“, antwortet sie, aber ich sehe ihr an, dass sie das nicht als endgültige Antwort im Raum stehen lassen will. „Ich habe nie wirklich kennengelernt, wo Benachteiligung anfängt. Körperlich benachteiligt ist man, das denke ich auf jeden Fall. Aber ob ich sonst irgendwie benachteiligt sein könnte, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.“ Ich frage sie warum: „Es war mir auch nie wirklich wichtig.“ Diese Antwort verwundert und enttäuscht mich zugleich. Ich bekomme diese Gleichgültigkeit soeben bestätigt, fast auf dem Silbertablett serviert. „Warum war dir das nie wichtig?“, frage ich sie um nun endlich auf die bestätigte Gleichgültigkeit eine Antwort zu erhalten. „Es war einfach noch nie ein Thema von großer Wichtigkeit. Mir Gedanken darüber zu machen, ob ich gleichberechtigt bin, oder welche Rechte mir als Frau eigentlich zustehen, waren nicht Teil der Erziehung, mit der ich aufgewachsen bin. Hier gibt es ein festes Bild von dem, was man als Frau zu tun hat, und was ein Mann zu tun hat. Das kann aber in Großstädten schon wieder anders sein. Im Sinne dieser Aufteilung wird man erzogen, und man nimmt es einfach hin, sieht es als normal an und zweifelt es nicht an. Das was einem die Eltern sagen, zweifelt man einfach nicht an.“. Gewissermaßen plausibel, doch das betrifft theoretisch gesehen fast alle Generationen vor uns. Auch die Eltern. Auch viele von ihnen haben diese Werte als normal gelehrt bekommen und sie dann letztendlich an uns alle weitergetragen. Müssen wir sie weitertragen? Das liegt bei jedem selbst, aber ein geschriebenes Gesetz ist es nicht. „Warum denkst du, dass das in Großstädten möglicherweise anders ist?“. „Auf dem Dorf wie bei uns hier, herrscht ein ganz anderes Leben als in einer großen Stadt, das ist völlig klar. Und hier lebt man auch einfach anders. Hier ist das Rollenbild nochmal ganz anders vertreten als in einer Großstadt. Ganz früher hatte hier fast jeder Haushalt ein Stück Wald oder Feld, das er zu bewirtschaften hatte. Das hat nun einfach mal der Mann gemacht, und die Frau war daheim, hat gekocht und alles was dazu gehört. Diese Aufteilung der Rollen, die hunderte Jahre schon so existierte, galt auf dem Dorf einfach noch viel länger als in der Stadt.“ Eine Erklärung die ich zwar nachvollziehen kann, aber die ich nicht ganz akzeptieren will. Heute sind wir modern. Wo sieht man einen Grund, diese Rollenaufteilung weiterzuführen? „Aber habt ihr euch nicht, als Frauen vom Dorf, in irgendeiner Weise mal gewünscht, euch nicht mehr diesem Rollenbild fügen zu müssen?“. Es tritt wieder Schweigen ein. „Die Frauen haben sich, mich eingeschlossen, in dieser Welt wohlgefühlt. Das war einfach eine sichere Basis, ein normales Leben. Keiner wollte unbedingt aus dem Muster fallen. Es gab sicher manchmal Momente, in denen man sich als Frau auch tollere Sachen hätte vorstellen können, aber eigentlich war das alles gut, so wie es war. Eine heile Welt, bei der alles seinen Ablauf hatte, und sich auch nie jemand beschwert hat.“ „Findest du aber nicht auch, dass dieses Bild nicht mehr ganz zeitgemäß ist?“.

 

„Definitiv. Und unsere junge Generation hat jetzt natürlich auch viel mehr Möglichkeiten, als wir sie damals hatten. Diese Rollenbilder lösen sich damit von selbst auch auf. Ist ja eigentlich auch gut so.“ Ich möchte nicht weiter darauf eingehen. „Was hältst du von Feminismus?“, sie schaut mich etwas fragend an. Vielleicht nach dem Motto, ob diese Frage ernst gemeint war. „Nicht wirklich viel. Eigentlich geht es uns Frauen ja gut. Ich glaube nicht, dass wir das brauchen. Das ist meistens nur Radau.“ Ein Eindruck der sich wieder bestätigt. Einerseits begrüßt sie das Verschwinden der Rollenbilder und der damit verbundenen Ungleichheit, andererseits lehnt sie die Gemeinschaft ab, die sich unteranderem für genau das einsetzt. Der Grund ist für mich auch hier klar. Klischeedenken über das, was Feminismus ist, und ein Mangel an Informationen über das, wofür der Feminismus steht. Ich versuche sie gar nicht vom Feminismus zu überzeugen, wozu auch. Ich weiß für was ich stehe, und sie weiß wofür sie steht. Dass sie aber vollkommen frei, und mit allen Privilegien und Rechten die ihr zustehen leben kann, war auch nicht immer selbstverständlich, hätte es keine mutigen und willensstarken Frauen gegeben, die sich für genau diese Rechte eingesetzt hätten. Das hat man vielleicht zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Feminismus bezeichnet, aber was ist der Feminismus heute anderes, als das Kollektiv von Menschen, die genau diesen Kampf um Rechte und Gleichberechtigung weiterführen wollen, den einmal starke Frauen unserer Geschichte ins Rollen gebracht haben?

Ich verlasse meine Bekannte mit gemischten Gefühlen. Einerseits kann ich die Haltung zum Rollenbild, das Dulden dieser Ungleichheit, das hier immer normal war, nachvollziehen. Vielleicht sieht man es auch nur aus heutiger Sicht als rückschrittlich und sexistisch an, und die Leute sahen, und sehen es auch heute noch, einfach als Normalität an. Andererseits bin ich nicht der Meinung, dass eine solche Auffassung noch zeitgemäß ist. Keiner sollte es mehr für sich verantworten, diese Geschlechterrollenwerte an seine Kinder weiterzutragen. Sie verabschiedet mich, sie müsse morgen auch noch arbeiten. Dass es ohne kämpferische Frauen gar nicht möglich gewesen wäre, dass sie heute im gleichen Betrieb, im gleichen Posten wie ihr Mann arbeitet, das sieht sie gerade vermutlich nicht. Sie hofft, dass sie mir weiterhelfen konnte, sagt sie. Ein wenig ja, aber andererseits war dieses Gespräch in großen Teilen nur eine Bestätigung des Eindrucks, den ich eigentlich schon immer hatte.

Ich berichte nur von einem Einzelfall, und es ist mir definitiv nicht das Anliegen, alle Dorfbewohner als rückschrittlich und in alten Rollen gefangen zu stigmatisieren. Wir überall gibt es auch hier Ausnahmen. Dennoch beharrt ein Großteil, und damit spreche ich für mein Umfeld und meine Erfahrungen, leider auf diesen Ansichten und Werten.

Doch das sind die alten Generationen. Es liegt jetzt an uns es besser zu machen, und die Tradition mit rückschrittlichen Werten zu brechen. Wir sind an der Reihe, wir tragen die Verantwortung in unseren Händen. Seit vielen Jahren gab es keine so große Anzahl an Jugendlichen und jungen Leute, die sich dem Feminismus, bzw. feministischen Vorstellungen, angenommen haben und verpflichtet fühlen, wie es momentan in unserer Generation der Fall ist. Wir können etwas ändern und dafür sorgen, dass Wert- und Moralvorstellungen neu definiert werden und sich vom Alten ablösen. Auch wenn ihr mit einer Meinung allein seid, oder wie ich fernab von politischer Aktivität lebt, möglicherweise noch in einem Umfeld, dass nicht mit eurer Meinung konform geht, dann lasst euch nicht beeinflussen und steht zu euch und euren Überzeugungen. Sucht euch Gleichgesinnte und versucht euch zu engagieren. Die Zeit ist jetzt da, um laut zu werden. In unserer modernen Gesellschaft sind Frauen menschliche Wesen, die immer noch nicht frei über ihren eigenen Körper verfügen können. In solch einer Situation haben sich bisher nur Sklaven befunden. Eine Gesellschaft, in der es immer noch Leute gibt, die es für in Ordnung halten, eine sexistische und chauvinistische Meinung rumzuposaunen, und im schlimmsten Fall noch an Kinder weiterzutragen, ist keine Gesellschaft, die ein halbwegs zivilisierter Mensch dulden sollte. Und keiner von euch sollte so eine Gesellschaft mehr dulden. Wenn ihr feministisch denkt, dann vereint euch und wagt den Protest. Ein Großteil der jungen Leute, der sich dem Feminismus verpflichtet fühlt, betreibt nur stillen Protest. Man kann noch zehn Jahre mit „GRLPWR“-Beuteln rumrennen, ändern wird sich jedoch nichts. Das ist stiller Protest, der nur beiläufig wahrgenommen, aber nicht kommuniziert wird. Macht euch laut, sorgt dafür, dass die Themen die euch wichtig sind, und für die ihr steht, Aufmerksamkeit bekommen und kommuniziert werden. Eines meiner größten Vorbilder, Simone de Beauvoir sagte einmal: „Frauen die nichts fordern werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts.“

Dominik ist 16 Jahre alt, Gymnasiast und überzeugter Feminist. In seiner Freizeit liest er viel, Am liebsten Hesse, Marx, Brecht und Rilke. Er ist Mitglied der Feministischen Partei und schreibt gelegentlich über Themen wie den Feminismus. Weiterhin ist er sehr kunstinteressiert und porträtiert seine Freunde gern fotografisch.

Text von Dominik / Fotos von Luka

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